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Beschneidung in Deutschland

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In den letzten Monaten konnte die interessierte Öffentlichkeit staunend verfolgen, wie nach einem Urteil des Landgerichts Köln plötzlich das halbe Internet voll mit Experten (gefühlte 99 Prozent der Erregten waren männlich) zur Beschneidung, zum Humanismus und zum liberalen Judentum waren. Warum? Weil das Landgericht Köln urteilte, dass Beschneidung bei Jungen eine Körperverletzung sei und sich Ärzte strafbar machten, wenn sie diese durchführen.

Wie ein Mann stimmten dann Humanisten, Antisemiten, Islamophobe und Männerrechtler einen gemeinsamen Chor an: Beschneidung sei ein barbarisches Ritual, das werde doch nur von Wilden ausgeübt, die noch nicht wirklich in der deutschen Zivilisation angekommen seien. Deutschland, Vorhut zur Verteidigung der Vorhäute dieser Welt.

Alle Argumente wurden rauf und runter strapaziert: Kindeswohl, Laizismus, Religionsfreiheit, Deutschland, Humanismus, Menschenrechte, was eben so verfügbar ist im Internet. Alles unterlegt mit gerechter Empörung: „WAS machen die?! DAS konnte niemand wissen!!”

Dass die Beschneidung im Judentum schon seit über 3000 Jahren üblich ist — geschenkt. Dass es schon seit dem frühen Mittelalter jüdische Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gibt — geschenkt. Dass die Beschneidung nach wie vor konstitutiv im Judentum ist — geschenkt. Alles keine Argumente für die Selbstgerechten, die sich aufrecht empören und die Foren und Kommentarspalten mit Verve und Eifer vollschreiben.

Dann versteckten sie sich, besonders perfide, hinter einer kleinen jüdischen Minderheit, die die Beschneidung in der Tat für sich ablehnt. Dabei ist diese kleine jüdische Minderheit im Judentum eben genau dieses: eine Minderheit. Für die übergroße Mehrheit, egal ob orthodox oder liberal, gehört die Beschneidung zum Judentum eben dazu.

Was ist das Problem an dieser ganzen Debatte? Mehrere Ebenen sind zu betrachten.

Zum einen herrschte ein massiver antireligiöser Furor, eine Art Vulgär-Humanismus, der darauf abzielte, dass der Staat als mächtige Kontrollinstanz direkt in die Erziehungsgewalt der Eltern eingreift und sie gemäß den Wünschen der Mehrheit maßregelt. Hier war auch zu erkennen, dass als nächstes die Kindstaufe als übergriffig angegangen werden sollte. Zuende gedacht liefe das darauf hinaus, dass Eltern ihren Kindern keinerlei Werte mehr mitgeben dürften, da eben alles, was in der Kindheit passiert, nicht rückgängig zu machen ist — sei es nun die Beschneidung oder die ausschließliche Ernährung mit Schrott.

Die andere Ebene war der ordinäre Antisemitismus und die ordinäre Islamophobie. Kurz gefasst geht diese Erzählung so: „Die jüdischen und muslimischen Wilden sind eben nur Barbaren, die ihre Kinder mutwillig misshandeln, die sollen sich gefälligst anpassen.” Ziemlich eklig und muss hier auch nicht weiter bearbeitet werden.

Außerdem gibt es noch die Kinder– und Männerrechtler, die halt nur ihr Thema im Blick haben und denen Konsequenzen aus ihrem Tun völlig egal sind. Körperverletzung ist da Körperverletzung, fertig. Dass Beschneidung für jüdische und muslimische Eltern ein Akt der Liebe und der Zuneigung ist, wird in diesem Spektrum als unglaubliche Aussage angesehen. (Immerhin, diese Gruppe würde die religiöse Beschneidung ab 18 Jahren gestatten. Dass das weder im Judentum noch eine Islam eine Option ist — geschenkt.)

Was bleibt von dieser Gemengelage?

Zum einen die Tatsache, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland mitnichten Normalität ist. (Nicht umsonst müssen jüdische Einrichtungen nach wie vor besonders geschützt und bewacht werden. Toulouse mahnt!) Der alberne Begriff „christlich-jüdische” oder „jüdisch-christliche” Tradition wurde als bloßes Zerrbild entlarvt, teilweise gegen den „fremden” Islam gerichtet. Schon ein kleines Urteil eines Landgerichts reicht (Teilen) der Mehrheitsgesellschaft aus, um mit Verachtung und Unverständnis auf Minderheiten zu blicken. Auf einen Schlag sollten zwei alte Religionen nicht mehr selbst entscheiden dürfen, wie sie ihren Glauben gestalten, sondern der deutsche Rechtsstaat wurde gegen sie in Stellung gebracht.

Zum anderen das Positive: Bundesregierung und Deutscher Bundestag ließen sich nicht von den Lauten und Selbstgerechten beeinflussen, sondern gingen daran, Beschneidung in Deutschland rechtssicher zu ermöglichen. Insbesondere Angela Merkels trockenes Diktum, Deutschland mache sich ansonsten zur Komikernation, war wohltuend.

Ganz prinzipiell lässt sich aus dieser „Debatte” eine wichtige Lehre ziehen: Wenn die Mehrheitsgesellschaft sich daran macht, ihren Lebensstil der Minderheit mit den Mitteln des Rechtsstaats aufzwingen zu wollen, muss das übel enden — deshalb ist es prinzipiell abzulehnen. Minderheitenschutz ist elementar für eine moderne Demokratie, die Mehrheit muss es aushalten, dass die Minderheit sich anders verhält. Religionsfreiheit darf nicht zum leeren Schlagwort verkommen — und der Weg zur „Bunten Republik” ist noch weit und sehr steinig.

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